In Deutschland hat jeder Patient das Recht, eine Kopie seiner Patientenakte bei seinem behandelnden Arzt anzufordern und einzusehen. Spätestens seit Inkrafttreten des E-Health-Gesetztes wird deutlich: Der Gesetzgeber möchte die Selbstbestimmung des Patienten stärken, sodass dieser seinem Arzt auf Augenhöhe begegnen kann. Doch von Seiten der Ärzte und Therapeuten hagelt es Kritik. Gefährdet die Verfügbarkeit der Akte womöglich den Behandlungserfolg und zerstört die gesetzliche Regelung sogar das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient? Viele Fach- und Hausärzte lassen sich ungern in die Karten schauen. Patienten sollten dennoch auf ihr Recht bestehen und sich nicht einschüchtern lassen.
2013 ist in Deutschland das sogenannte Patientenrechtegesetz in Kraft getreten: Im Rahmen der neuen Gesetzgebung wurde Patienten das Recht auf Einsicht in ihre Krankenakte explizit eingeräumt. Der § 630g des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) schreibt seither vor:
„Dem Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen.“
Auch vorher galt bereits implizit ein Recht auf Einsicht in die Patientenakte. Eine solche Akte enthält die gesammelten Unterlagen und Aufzeichnungen eines Arztes über einen Patienten. Dazu gehören die Anamnese, Diagnosen, Notizen über Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Therapiemaßnahmen, Operationen, Befunde, Aufklärungen und Einwilligungen und schließlich nicht zuletzt Arztbriefe. Gesetzlich ist jeder Arzt zur umfassenden Dokumentation verpflichtet (BGB, § 630f). Jede Patientenakte muss mindestens zehn Jahre aufbewahrt werden. Obwohl die Akten Eigentum des Arztes – und im Todesfall Eigentum der Erben des Arztes – sind, hat der Patient das Recht, zu erfahren, was dort über ihn zu lesen ist. Dem Patienten die Einsicht in Teile der Akte oder sogar in die gesamte Akte zu verweigern, ist beinahe unmöglich. In der zum Patientenrechtegesetz mitgelieferten Begründung heißt es:
„Niederschriften über persönliche Eindrücke oder subjektive Wahrnehmungen des Behandelnden betreffend die Person des Patienten sind dem Patienten grundsätzlich offen zu legen. Ein begründetes Interesse des Behandelnden an der Nichtoffenbarung solcher Aufzeichnungen ist, in Abwägung zu dem Persönlichkeitsrecht des Patienten, im Regelfall nicht gegeben.“
Das neue Gesetz ist nicht nur eine Erweiterung der Patientenrechte; es ist außerdem ein Zeichen für eine grundlegende Veränderung des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Die Möglichkeit, die eigene Akte einzusehen, stärkt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Eine ärztliche Behandlung betrifft unmittelbar das körperliche und seelische Wohlergehen. Umso wichtiger ist eine umfassende Aufklärung darüber, welche Maßnahmen warum nötig sind, um dem Patienten mehr Raum für Mitbestimmung einzuräumen. Das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patienten basiert heute nicht mehr ausschließlich auf dem Expertenstatus des Arztes, sondern stützt sich auf eine gute Kommunikation beider Parteien miteinander.
Häufig wird Akteneinsicht vor allem dann gefordert, wenn der Verdacht auf einen Behandlungsfehler besteht oder wenn eine Zweitmeinung eingeholt werden soll. Auch und gerade Angehörige verstorbener Patienten haben in einigen Fällen das Bedürfnis, zu überprüfen, ob der Tod durch einen behandelnden Arzt verschuldet wurde. Diese Gründe sind ebenso legitim wie der Wunsch nach Aufklärung und Selbstbestimmung. Selbstverständlich ist auch bei einem Arztwechsel die Patientenakte von Belang.
Nicht alle Ärzte sind enthusiastische Verfechter der neuen Gesetzgebung. Immer wieder werden die mit der Akteneinsicht verbundenen Risiken thematisiert. In einigen Fällen, so heißt es, gefährde die Herausgabe der Unterlagen den Behandlungserfolg. Solche Szenarien sind tatsächlich denkbar: Entscheidet sich ein Arzt beispielsweise nach langer Überlegung für die Behandlung eines bestimmten Leidens mit einem Placebo, hängt der Erfolg der Therapie wesentlich davon ab, dass der betreffende Patient die „Täuschung“ wenigstens vorerst nicht durchschaut. Darüber hinaus können Patienten aufgrund ihres Laienstatus, fehlender Objektivität und mangelnder ärztlicher Berufserfahrung häufig nicht selbst einschätzen, ob sich eine bestimmte Therapie positiv oder negativ auf ihren Zustand auswirken wird, beziehungsweise ausgewirkt hat. Sie sind trotz aller Aufklärung darauf angewiesen, ihrem Arzt ihr Vertrauen zu schenken. Medizin ist keine exakte Wissenschaft. Selbst Ärzte sind immer wieder genötigt, bestimmte Maßnahmen lediglich auf Verdacht anzuordnen und auf den Behandlungserfolg zu hoffen. Die Befürchtung, dass ein fehlgeschlagener Versuch als Behandlungsfehler ausgelegt wird, steckt mitunter hinter der Weigerung, eine bestimmte Akte herauszugeben.
Ja, das Recht auf Einsicht in die Patientenakte gilt für jede Form von medizinischer Versorgung, ganz gleich, ob es sich beim betreffenden Arzt nun um einen Facharzt oder einen Zahnarzt handelt. Auch Kuraufenthalte, Reha-Maßnahmen und stationäre Behandlungen müssen dokumentiert werden. Das Patientenrechtegesetz gilt sogar für Psychotherapeuten. Dort bestehen zwar die meisten Bedenken – schon allein das Wissen um seine Diagnose könne einen Patienten völlig aus der Bahn werfen –, dennoch sind auch Therapeuten verpflichtet, ihren Patienten Einsicht in die Akte zu gewähren, es sei denn, es besteht ein begründbares Interesse, die Akte zum Wohle des Patienten einzubehalten. Solche Grenzfälle können im Zweifel auch vor Gericht entschieden werden.
Zunächst lohnt es sich, den behandelnden Arzt mündlich um eine Kopie der Akte zu bitten. Eine Angabe von Gründen ist nicht erforderlich. Dennoch kann ein offenes Gespräch zwischen Arzt und Patient dazu beitragen, das Verhältnis durch die Bitte nicht zu gefährden. Hat der Arzt Bedenken, kann er diese in ruhiger Atmosphäre vorbringen, während der Patient ebenfalls die Chance erhält, sich zu erklären. Schließlich ist der Arzt jedoch verpflichtet, dem Wunsch des Patienten nachzukommen. Weigert er sich, sollte die nächste Aufforderung schriftlich mit Verweis auf die geltende Gesetzgebung erfolgen. Behält der Arzt die Akte weiterhin ein, besteht die Möglichkeit, mithilfe eines Anwalts gegen ihn vorzugehen.
Die Originaldokumente sind Eigentum des Arztes. Ist der Arzt damit einverstanden, kann der Patient unter seiner Aufsicht die Originale einsehen, darf sie aber nicht für sich behalten. Stattdessen kann eine Kopie angefertigt werden. Die Kosten dafür inklusive Porto darf der Arzt dem Patienten in Rechnung stellen. Kopien von Röntgenaufnahmen sind sehr kostspielig, weshalb in der Regel die Möglichkeit besteht, sich die Originale gegen eine Quittung vom Arzt zu leihen.
Das E-Health-Gesetz sieht die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePatientenakte) in den nächsten Jahren vor. Mithilfe der neuen Technologie sollen Patienten automatisch Einsicht in ihre elektronische Akte erhalten und in einem eigens dafür vorgesehenen Patientenfach selbst Daten an den Arzt übermitteln und so die Aufzeichnungen ergänzen können. Das Gesundheitskonto von vitabook realisiert diese Vision schon jetzt. Röntgenbilder, Aufzeichnungen, Befunde und Untersuchungsergebnisse können vom Arzt ganz einfach auf das Gesundheitskonto überwiesen und vom Patienten mit Scans und eigenen Notizen vervollständigt werden. So hat jeder Patient immer und überall die Möglichkeit, sich umfassend über seine medizinische Betreuung zu informieren. Auf diese Weise ist der Streit um die Patientenakte ein für alle Mal entschieden. Die Bitte um Herausgabe der Akte stellt den Arzt nicht mehr unter Generalverdacht, sondern dient als Obligatorium der Selbstbestimmung des Patienten.
Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen, „Patientenrechte. Ärztepflichten.“: http://www.bagp.de/dokumente/bagp/bagp_praep_2016fuerwebseite.pdf (aufgerufen am 13.03.2017)
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, „Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). § 630f – Dokumentation der Behandlung“: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__630f.html (aufgerufen am 13.03.2017)
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, „Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). § 630g – Einsichtnahme in die Patientenakte“: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__630g.html (aufgerufen am 13.03.2017)
Das Bundesministerium für Gesundheit, „Das E-Health-Gesetz“: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/e/e-health-gesetz.html (aufgerufen am 11.03.2022)
Deutscher Bundestag, „Drucksache 17/10488“: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/104/1710488.pdf (aufgerufen am 13.03.2017)
Halbe, B., „Recht auf Akteneinsicht: Was Ärzte wissen sollten“: https://www.aerzteblatt.de/archiv/186005/Recht-auf-Akteneinsicht-Was-Aerzte-wissen-sollten (aufgerufen am 13.03.2017)
Stanko, S., „Das Patientenrechtegesetz und seine Auswirkungen auf die psychotherapeutische Praxis“ in: „Psychotherapeutenjournal“ 1/2014: https://www.psychotherapeutenjournal.de/ptk/web.nsf/gfx/ptj_2014-1.pdf/$file/ptj_2014-1.pdf (aufgerufen am 13.03.2017)
Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel beinhaltet lediglich allgemeine Hinweise und Beschreibungen zum Thema Patientenakte. Er eignet sich nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung und kann einen Arztbesuch auf keinen Fall ersetzen.